Die Bühnentechniker des auslaufenden 19. Jahrhunderts schufen durch ihren Erfindungsreichtum nicht nur neue Inszenierungsmöglichkeiten, sondern machten mit unzähligen sicherheitstechnischen Erfindungen die Theaterhäuser und -bühnen auch sicherer. Welche Relevanz sicherheitstechnische Überlegungen bei der Entwicklung neuer Bühnentechnik bekam, zeigt sich im Nachlass der Familie Brandt unmittelbar in einzelnen Plänen und technischen Zeichnungen, an denen sich sowohl grundlegende sicherheitstechnische Prinzipien als auch kleinste Detaillösungen nachvollziehen lassen. Sie geben einen Einblick in die Komplexität der Bühnentechnik und die Herausforderungen, vor denen Techniker wie die Brandts standen, ihre Gefahren und Risiken kontrollier- und beherrschbar zu machen.
Diese Gefahren rückten nicht zuletzt durch einen folgenschweren Brand in Wien ins öffentliche Bewusstsein: Am 8. Dezember 1881 brach kurz vor Vorstellungsbeginn ein Feuer im Bühnenraum des Ringtheaters aus, in dessen Folge fast 400 Zuschauer und Mitarbeiter den Flammen zum Opfer fielen. Der Brand des Ringtheaters erhielt aufgrund seiner tragischen Umstände zwar besondere öffentliche Aufmerksamkeit, er war aber leider kein Einzelfall. Beinahe wöchentlich kam es im 19. Jahrhundert zu kleineren und größeren Theaterbränden. Offene Öl- und später Gasflammen zur Beleuchtung machten in Verbindung mit Textilien für Kostüme und Kulissen und Holz als Baumaterial Theaterbesuche zu einem riskanten Unterfangen. Schlechte Belüftung und enge Treppenführungen taten ihr übriges, dass Brände wie in Wien katastrophale Ausmaße annehmen konnten.1 Die Folge war ein rege geführter Diskurs sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Fachwelt darüber, wie die Theaterhäuser in Zukunft sicherer gemacht und modernisiert werden könnten. Die Industrialisierung, neue Erfindungen und wissenschaftliche Erkenntnisse eröffneten neue technische Möglichkeiten, die im auslaufenden 19. Jahrhundert für die Theater nutzbar gemacht wurden: Eisen wurde als Baustoff für Bühneneinrichtungen entdeckt, elektrische Beleuchtung löste die gefährlichen Gasflammen ab und eine ganze Reihe technischer Einrichtungen wurden entworfen und erprobt, die im Ernstfall Leib und Leben der Besucher und Mitarbeiter schützen sollten. Zu einem bis heute wichtigen Bestandteil des Brandschutzes wurde dabei der Eiserne Vorhang. Als feuerfeste Barriere sollte er im Brandfall den Bühnen- vom Zuschauerraum trennen und ein Übergreifen der Flammen verhindern oder zumindest genug Zeit verschaffen, das Theater zu evakuieren. Bestanden frühe Versuche noch aus wenig effektiven Drahtnetzen, die zwar Funken, aber keinen Rauch aufhalten konnten, ging man Ende des 19. Jahrhunderts dazu über, absenkbare Wände aus Wellblech einzusetzen. Da sich der Eiserne Vorhang bewährte, gehörte er bald zur Standardausstattung der Theaterhäuser, mit der sich jeder Bühnenmaschinist schon in der Planung auseinandersetzen musste. Der Brandschutz spielte auch für die Arbeiten der Familie Brandt eine wichtige Rolle und einige Entwicklungen des Eisernen Vorhangs lassen sich anhand der Pläne und Korrespondenzen in der Sammlung nachvollziehen.
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Eine Herausforderung beim Einsatz Eiserner Vorhänge, die auch beim Ringtheaterbrand in Wien eine Rolle spielte, bestand darin, sicherzustellen, dass der Vorhang im Brandfall auch tatsächlich herabgelassen werden konnte. So gab es im Ringtheater beispielsweise nur eine einzige Handkurbel, die auch noch an einer schwer erreichbaren Stelle angebracht war.2 Als der Auslösemechanismus des Eisernen Vorhangs als potentielle Schwachstelle erkannt wurde, wurden unterschiedliche Ideen ausprobiert, um das Herablassen des Vorhangs sicherer zu gestalten. Von einer abenteuerlichen Konstruktion berichtet Ludwig Klasen: Im Nationaltheater in Budapest soll der Wächter für den Eisernen Vorhang auf einem Balkon positioniert gewesen sein, dessen Ausgang sich erst öffnen ließ, nachdem im Brandfall der Vorhang herabgelassen wurde, um sicherzustellen, dass der verantwortliche Arbeiter erst seiner Pflicht nachkam, bevor er sich selbst rettete.3 Glücklicherweise bewährte sich aber ein weniger gefährlicher Ansatz, der sich anhand eines Plans des königlichen Schauspielhauses Berlin nachvollziehen lässt: die Einführung von Redundanzen (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Theaterhistorische Sammlungen, Freie Universität Berlin, Signatur IfT_FaB_243.
Der Eiserne Vorhang wurde mit einem modernen elektrischen Antrieb geplant und mit mehreren Notfallsystemen ausgestattet. Im Regelfall sollte sich der Vorhang nach Betätigen eines Hebels, der gut zugänglich in der Inspizientenloge neben der Bühne angebracht war, selbstständig absenken. Zusätzlich zum Übergewicht des Vorhangs stellte dies ein Niederzugseil sicher. Sollte der elektrische Antrieb versagen, konnte der Vorhang notfalls abgekoppelt werden und durch sein Eigengewicht fallen. Um diesen Notfallmechanismus auszulösen, wurden gleich zwei Hebel eingeplant: der erste zentral an der Bühnenseite und ein weiterer im Treppenhaus, sodass der Eiserne Vorhang auch ausgelöst werden konnte, wenn der Bühnenraum nicht zugänglich wäre. Dieses Prinzip fand auch in anderen Theatern Anwendung. Auf dem Grundriss des Alten Theater in Leipzig (Abb. 4) beispielsweise wurden gleich drei Hebel zum Auslösen des Vorhangs auf beiden Seiten der Bühne eingeplant.
Abb. 4: Theaterhistorische Sammlungen, Freie Universität Berlin, Signatur IfT_FaB_734.
Als Ersatz der menschlichen Arbeitskraft kamen nicht nur Elektromotoren zum Einsatz, auch die Hydraulik erfuhr seit den 1880er Jahren eine zunehmende Verbreitung und wurde ebenfalls zum Antrieb Eiserner Vorhänge eingesetzt. Die technischen Zeichnungen für das Deutsche Opernhaus in Charlottenburg zeigen eine solche Einrichtung. Während auf der Zeichnung vom 9. November 1911 der Hebel zur Steuerung nur außerhalb der Proszeniumsmauer bedient werden konnte (vgl. Abb. 5a), kann der Hebel auf dem vier Monate später datierten Plan von beiden Seiten der Mauer ausgelöst werden (vgl. Abb. 5b).
Abb. 5a: Theaterhistorische Sammlungen, Freie Universität Berlin, Signatur IfT_FaB_403.
Abb. 5b: Theaterhistorische Sammlungen, Freie Universität Berlin, Signatur IfT_FaB_814.
Auch wenn aufgrund der unterschiedlichen baulichen Voraussetzungen und örtlichen Anforderungen Bühneneinrichtungen und damit auch Eiserne Vorhänge immer Sonderanfertigungen waren, lassen sich in diesen Beispielen Planungsprinzipien erkennen, die sich scheinbar bewährten und in verschiedenen Bühneneinrichtungen zum Einsatz kamen. Solche Erfindungen und Ideen zirkulierten durch Fachpublikationen und persönlichen Austausch und mit der Zeit entstanden für verbreitete Probleme Vereinheitlichungen und Standardisierungen. An diesen Prozessen des Austauschs waren ganz unterschiedliche Akteure beteiligt und sie konnten selbst kleinste Details betreffen, wie ein weiteres Beispiel aus dem Nachlass zeigt: die seitliche Führung Eiserner Vorhänge. Das 1884 in Budapest eröffnete Opernhaus galt zum damaligen Zeitpunkt als fortschrittlichstes Theaterhaus Europas mit der modernsten und vor allem der sichersten Bühneneinrichtung, welche die Welt bis dahin gesehen hatte. Um sicherzustellen, dass der Eiserne Vorhang den Zuschauerraum vor giftigem Rauch schützen würde, hatte man eine Lösung aus drei überlappenden Blechen entwickelt, die mit Gummilippen versehen einen rauchdichten Abschluss bilden sollten (vgl. Abb. 6).
Wenige Jahre später trat 1889 in Preußen die erste Verordnung mit Brandschutzbestimmungen in Kraft und regelte sehr genau, welche Brandschutzmaßnahmen in Theatern fortan umgesetzt werden mussten. Dort spielte die Abdichtung gegen Rauch keine Rolle mehr, aber es wurde festgeschrieben, dass Eiserne Vorhänge einem Druck von 90kg/qm standhalten mussten.4 Für die Einhaltung dieser Vorgabe spielte die seitliche Führung als potentielle Schwachstelle eine so entscheidende Rolle, dass der Wiesbadener Maschinenfabrikant W. Philippi eine spezielle Führung 1894 zum Patent anmeldete.5 Statt mit einer beweglichen Rolle wie in Budapest wurde der Vorhang hier entlang einer massiven Eisenschiene geführt, die auch unter großem Druck verhindern sollte, dass der Vorhang aus seiner Führung rutschte (vgl. Abb. 7).
In einem Briefwechsel mit Fritz Brandt dem Älteren erläuterte Philippi, dessen Maschinenfabrik in Wiesbaden zu den Marktführern für Bühnentechnik zählte, das Führungssystem. Ebendieses System findet sich dann auch in den Plänen Brandts zum Theater in Essen mit Verweis auf Philippis Patent wieder (vgl. Abb. 8).
Abb. 8: Theaterhistorische Sammlungen, Freie Universität Berlin, Signatur IfT_FaB_614.
An diesem Detail lässt sich anhand des Nachlasses verstehen, wie sich eine bürokratische, polizeiliche Verordnung auf die Entwicklung eines vermeintlich kleinen Details technischer Planung auswirken und über ein Patent und den persönlichen Austausch zwischen Philippi und Brandt schließlich in konkrete Planungen Einzug erhalten konnte. Solche Prozesse des Austausches führten in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende nicht nur zu Brandschutzmaßnahmen, die in ihren Grundzügen bis heute Anwendung finden, sondern auch zu Entwicklungen und Standardisierungen in der Bühnentechnik, welche die Theaterbesuche sicherer machten und zugleich die Arbeitsabläufe hinter den Bühnen stark veränderten.